Wirtschaftsdinner
„Wie viele Weckrufe braucht Europa noch?“
Zu bürokratisch, zu langsam und international bedeutungslos - die Europäische Union hat mit Vorurteilen, Diffamierungen und Herausforderungen zu kämpfen. Beim prominent besetzten Wirtschaftsdinner des Bezirksamts von Lichtenberg und des Wirtschaftskreises Hohenschönhausen-Lichtenberg WKHL e. V. diskutierten die Europa-Abgeordnete Gaby Bischoff (SPD), Janina Böttger (MdB, Die Linke), der langjährige Leiter der Europäischen Akademie Prof. Dr. Eckart Stratenschulte und Morris Reinmüller, Referatsleiter im Auswärtigen Amt, über die Transformation der Wirtschaft, Chancen für Berlin und einen Billionen-Haushalt.
Die Runde, die der WKHL-Vorstandsvorsitzende Karsten Dietrich im Festsaal des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge begrüßen konnte, hätte kaum hochkarätiger sein können. Direkt aus Brüssel reiste die Europa-Abgeordnete Gaby Bischoff an. Die Bundestagsabgeordnete Janine Böttger unterbrach sogar die Sitzung des Plenums, um zum Wirtschaftsdinner zu kommen. Mit Prof. Dr. Eckart Stratenschulte konnte der Wirtschaftskreis einen der renommiertesten Kenner Brüssels gewinnen. Und Morris Reinmüller, Referatsleiter im Auswärtigen Amt, brachte die Expertise der nationale Ebene ein. Per Video übermittelte zudem die EU-Abgeordnete Hildegard Bentele (CDU) eine Grußbotschaft an den Wirtschaftskreis.

Wie sehr Europa unter Druck steht, wie sehr dieser Druck aber auch für eine Transformation der Wirtschaft sorgt, machte die Europa-Abgeordnete Gaby Bischoff gleich zu Beginn deutlich: „Europa hat die Wahl, in der Industriepolitik wirklich eine gemeinsame Strategie zu machen oder wir werden weiter de-industrialisiert.“ Der Kontinent stehe an einem Wendepunkt. Es gehe darum Weichen für Zukunftsprojekte zu stellen, ausreichend Mittel für Investitionen bereitzustellen und dabei die Interessen der Beschäftigten nicht aus dem Blick zu verlieren, betonte Bischoff.
Für den Europa-Experte Prof. Dr. Eckhart Stratenschulte ist das Gebot der Stunde, dass die Union ihre Resilienz verstärkt, insbesondere pro-aktiv. „Im Augenblick ist die EU nicht im allerbesten Zustand, sie steht mit dem Rücken an der Wand.“ Aber die EU-Kommission arbeite an einer umfassenden Strategie, die Gemeinschaft unabhängiger zu machen. „Es gibt keine andere Chance als voranzugehen und ich bin optimistisch: Wir schaffen das!“ sagte Stratenschulte.
Morris Reinmüller, Referatsleiter im Auswärtigen Amt, mahnte bei allen Herausforderungen nicht die Stärken Europas, Deutschlands und Berlins zu vergessen: „Wir haben eine sehr gute Forschungslandschaft. Das sind Stärken, auf die wir aufbauen können.“ Die EU-Kommission plane mit dem nächsten langfristigen Haushalt einen großen Schritt in Richtung mehr Wettbewerbs- und Verteidigungsfähigkeit. Insbesondere Berlin mit seinen international aufgestellten Forschungseinrichtungen könne hier profitieren, zeigte sich Reinmüller überzeugt.
Deutlich wurde aber, dass beim Geld nationale und EU-Interessen nicht identisch sind. Morris Reinmüller ließ durchblicken, dass die Bundesregierung die fast 2 Billionen Euro, die Brüssel für den Haushaltszeitraum 2028 bis 2034 einplant, gerne kürzen möchte. Er verwies dabei auf die schwierige Haushaltslage in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten. Die Bundestagsabgeordnete Janina Böttger machte dagegen eine andere Rechnung auf: „Wenn man die Inflation herausrechnet, ist der Haushalt gar nicht so groß wie die EU-Kommission und Deutschland tun.“ EU-Parlamentarierin Bischoff sah das ähnlich. „Das Versprechen ist, das man mehr mit weniger Geld macht. Sie sind alle Praktiker und Praktiker wissen, das funktioniert nicht“, sagte sie an die Mitglieder des Wirtschaftskreises gewandt.
Böttger äußerte zudem die Sorge, dass der geplante Umbau der EU-Förderung weg von vielen kleinen Projekten hin zu wenigen großen Förderfonds negativ für die Region sein könnte. „Zu befürchten ist, dass Ostdeutschland aus der bisherigen Förderkategorie herausfällt und deutlich weniger Geld bekommt.“ Die Zusammenlegung der Programme soll aber auch dazu führen, dass Anträge vereinfacht und Bürokratie abgebaut wird.
Bei der Gelegenheit räumte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Eckart Stratenschulte gleich mit dem Vorurteil des Bürokratiemonsters EU auf. Die Europäische Union gebe nur sieben Prozent ihres Bugdets für Verwaltung aus. Mit ihren 32.000 Beschäftigten habe die EU-Verwaltung aber nicht einmal halb so viele Mitarbeiter wie der Frankfurter Flughafen.
Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Martin Schäfer, CDU, warnte daher davor, die Errungenschaften der EU zu zerreden: „Es ranken sich so viele Mythen um die EU und das wird ausgenutzt von den Populisten.“ Europa-Experte Stratenschulte empfahl, endlich Handelsabkommen mit Kanada und Südamerika vollständig umzusetzen und Schritt für Schritt weiter am gemeinsamen Haus Europa zu bauen. Morris Reinmüller sah ebenfalls Anlass für Optimismus: Gerade in Krisenmomenten habe die Gemeinschaft gezeigt, dass sie zu Fortschritten fähig sei. „Ich glaube an die Vereinigten Staaten von Europa“, so das Bekenntnis von Gaby Bischoff. Aber sie schickte gleich die Mahnung hinterher. „Wie viele Weckrufe braucht es eigentlich noch?“ Europa müsse endlich vom „business as usual“ und einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners wegkommen.
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Für den Wirtschaftskreis Hohenschönhausen-Lichtenberg WKHL e. V. war das weihnachtliche Wirtschaftsdinner neben der europapolitischen Diskussion der Anlass, sich wie alle Jahre großzügig zu zeigen. Auch in diesem Jahr unterstützt der WKHL e. V. das Kinderhaus Berlin - Mark Brandenburg e. V. Für die Stiftung konnte Rainer Wiebusch einen Scheck über stolze 4180 Euro überreichen.
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Karsten Dietrich (Vorstandsvorsitzender WKHL e. V.)
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